Die USA weichen derzeit von der Ein-China-Politik offiziell nicht ab. Doch hinter den Kulissen befürchtet Peking seit geraumer Zeit eine Einflussnahme Washingtons auf Taiwan. Nun will man von Kreml-Chef Wladimir Putin einige Winkelzüge, wie man mit den USA machtpolitisch in solchen Fragen umgeht, lernen. Peking rüstet sich für den Fall der Fälle, dass die US-Außenpolitik in Sachen Taiwan und Beherrschung des äußersten südchinesischen Meeres künftig einen anderen – aus Pekings Sicht noch aggressiven – Kurs fährt.
Auch will man offenbar am Beispiel der Ukraine erkunden, welcher Widerstand bzw. welche Gegenmaßnahmen und Repressionen von den USA bzw. deren Präsident Joe Biden bei einer aggressiveren chinesischen Taiwan-Politik zu erwarten ist. Wie Putin, der erpicht darauf sei, die Ukraine wieder unter Moskaus Kontrolle zu bringen, löse auch der Gedanke, dass Taiwan näher an die USA und ihre in diesem Fall asiatischen Verbündeten rücken könnten, bei Xi Besorgnis aus, also „The Atlantic“.
Auf die Interpretation kommt es an
Wie Xi den Ukraine-Konflikt interpretiere bzw. missinterpretiere, kann stark beeinflussen, ob und wie China eine Wiedervereinigung mit Taiwan anstrebe. Das habe äußerst große Auswirkungen auf die Sicherheitslage und die Stabilität in der von China dominierten Region. Deshalb sei die Ukraine-Krise ein entscheidender Test für die Stärke der globalen Macht der USA.
Denn über Biden hängt weiterhin auch noch das Fiasko des chaotischen Abzugs aus Afghanistan. Nicht nur in den Augen Moskaus und Pekings steht Biden dadurch in seiner Außenpolitik geschwächt da. Für Moskau ist Biden überdies seit dem Beginn der Ukraine-Krise 2013/14 ein alter Bekannter. Damals war Biden Vizepräsident unter seinem Parteifreund US-Präsident Barack Obama.
Biden unter permanentem Testdruck
Das Problem für Biden sei, dass der US-Präsident von Peking und Moskau permanent ausgetestet bzw. provoziert werde, um ihn einschätzen zu können, so Danielle Pletka vom konservativen Thinktank American Enterprise Institute zu „The Atlantic“. Das sei jetzt eine wichtige Phase, in der auch entschieden werde, wie das weitere Vorgehen sei.
Xi versuche festzustellen, ob Washington unter Biden eine sicherheitspolitische und politische Wende vollziehe, so Shelley Rigger, Taiwan-Experten am Davidson College in North Carolina. Peking befürchte, dass Washington versuchen könnte, seine Taiwan-Politik strategisch einzusetzen, um Chinas wirtschaftlichen und politischen Aufstieg zu bremsen oder gar zu verhindern. Das sei es, was ihrer Meinung nach, in China tatsächlich Besorgnis auslöse.
Peking gegen Washington
Die laufenden Spannungen zwischen Peking und der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Peking sieht Taiwan, das sich 1949 von China abgespaltet hatte, als abtrünnige Provinz, die wieder mit dem Festland vereint werden soll – notfalls mit mutmaßlicher Gewalt. China isoliert Taiwan auch politisch.
Die USA sind der erheblichen verbündete Taiwans und haben ihre Waffenlieferungen in den vergangenen Jahren verstärkt. US-Kriegsschiffe durchqueren im Zug trainierter Übungen immer wieder die Straße von Taiwan, was zu Verärgerung in China führt. Auch taiwanische Soldaten sollen von den USA ausgebildet worden sein. Die USA sprechen aber wie viele andere Staaten mit Rücksicht auf die Volksrepublik keine formalen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan.
Wie weit will und kann Biden gehen?
Bei einer Feier in der Großen Halle des Volkes zum 110. Jahrestag der Revolution rief Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping im Oktober zu einer „Wiedervereinigung“ auf. Eine Vereinigung mit „friedlichen Mitteln“ diene am besten den Interessen der gesamten chinesischen Nation. Mit Blick auf den Unabhängigkeitswillen des heutigen demokratischen Taiwans sagte Xi: „Jene, die ihr Erbe vergessen, ihr Vaterland verraten und versuchen, das Land zu spalten, werden ein böses Ende nehmen.“
Angesichts der aktuellen Lage werde Xi die Situation in der Ukraine genau im Blick haben und analysieren, welche Instrumente Biden einsetzen könnten und tatsächlich auch einsetzen werde, um Russland in die Schränke zu weisen. Doch auch ein Kompromiss in Sachen Ukraine sei möglich, so „The Atlantic“. China sei allerdings gut beraten, die Situation in der Ukraine nicht 1:1 auf Taiwan umzumünzen.
US-Interesse an Taiwan ungleich höher
Obwohl Biden bereits ein versuchtes Eingreifen der USA ohne Verbündete in der Ukraine ausgeschlossen hat, gelte das nicht für Taiwan. Hier hielten die USA ihre Position betreffend einer Militärintervention noch offen und daher für Pekings Einschätzung unklar. So ist Taiwan für die nationalen Interessen der USA strategisch weitaus wichtiger als die Ukraine: als Glied im Bündnissystem, das das Rückgrat der US-Macht im Pazifik bildet. Außerdem liefert Taiwan Halbleiter und andere Hightech-Komponenten in die USA.
China hat indes im Herbst Taiwan das Heft des Handelns in der Hand, und das heiße derzeit tendenziell abwarten, heißt es in „The Atlantic“. China sei eine aufstrebende Weltmacht, und aus der Sicht Pekings habe man deshalb tendenziell mehr Zeit und nicht weniger Zeit, um das „Problem Taiwan zu lösen“, so Rupert Hammond-Chambers, Präsident des US-taiwanesischen Wirtschaftsrates gegenüber „The Atlantic“.
Großbritannien liefert Panzerabwehrwaffen an die Ukraine
Und die USA haben auch andere strategische Positionen in Europa und in Asien. So werden Bidens Möglichkeiten in der Ukraine-Krise von der NATO und auch von der EU beschränkt, liegt doch die Ukraine quasi vor der Haustür der Europäischen Union.
Das NATO-Mitglied Großbritannien etwa will nun der Ukraine bei der Abwehr einer Invasion durch Russland mit Waffen zur Bekämpfung von Panzern helfen. „Wir haben entschieden, der Ukraine leichte defensive Panzerabwehrwaffen zu liefern“, sagte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace am Montagabend im Parlament. Es sind bereits die ersten Einheiten in der Ukraine angekommen. Britische Armeeangehörige sollen für eine kurze Zeit ukrainisches Personal an dem Waffensystem ausbilden.
Quelle: orf.at