An diesem Sonntag wird in NRW gewählt, Ministerpräsident Hendrik Wüst von der CDU tourt durchs Land. Er betont, dass die Arbeit mit der FDP in den vergangenen Jahren „vertrauensvoll und freundschaftlich“ gewesen sei, lobt aber auch Robert Habeck und spricht über den notwendigen Ausbau der Windenergie. An der 1000-Meter-Regel wird sich allerdings nichts ändern. „Abstandsregeln schaffen Rechtssicherheit und Verlässlichkeit“, sagt Wüst. Unterwegs im Münsterland haben wir mit ihm gesprochen.
ntv.de: Wenige Tage vor der Wahl sehen Umfragen für Sie einen leichten Vorsprung vor Ihrem SPD-Konkurrenten Thomas Kutschaty. Woran werden die Unentschlossenen jetzt noch ihre Entscheidung ausrichten?
Hendrik Wüst: Die Menschen werden immer zuverlässiger wählen, denen sie zutrauen, die großen Probleme zu lösen: Wie wir dieses Land schnell aus der Pandemie bekommen, weiter für Innere Sicherheit, gute Bildung für unsere Kinder und krisensichere Arbeitsplätze sorgen. Darum geht es bei dieser Landtagswahl, das sind die wichtigsten Themen.
Bezüglich Innerer Sicherheit hatte NRW zeitweilig einen schlechten Ruf.
In der Tat hat Rot-Grün bis 2017 dafür gesorgt, dass die Innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen ein völlig ramponiertes Image hatte. Das kurzfristige Projekt von SPD-Innenminister Ralf Jäger war seinerzeit der Blitzermarathon. Die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht, das Versagen rund um den islamistischen Attentäter Anis Amri und die Clan-Kriminalität – all das prägte die SPD-Sicherheitspolitik im Kabinett von Hannelore Kraft mit Innenminister Jäger und Justizminister Kutschaty. Dahin will nun wirklich niemand zurück. Wir haben daher mit konsequenter Null-Toleranz-Politik gegen Kriminalität dafür gesorgt, dass Nordrhein-Westfalen so sicher ist wie seit 35 Jahren nicht mehr: Mord- und Totschlag auf Zehn-Jahres-Tief, bei Raub niedrigste Fallzahl seit 1988, Wohnungseinbruchdiebstahl ist im Vergleich zu 2015 um mehr als 70 Prozent zurückgegangen, Straßenkriminalität so gering wie seit 1990. Wir haben bei all diesen Dingen richtig aufgeholt – auch, weil Armin Laschet die gute Idee hatte, einen erfahrenen Politiker, der eigentlich aus der Bildungs- und Wirtschaftspolitik kam und im EU-Parlament saß, zum Innenminister zu machen.
Sie reden von Herbert Reul.
Ja. Sein Name steht für die Null-Toleranz-Politik der CDU hier in Nordrhein-Westfalen gegen jede Art von Kriminalität: ob Clans, Extremisten oder Terroristen. Die Clans haben beispielsweise vorher Stadtteile zu Räumen gemacht, in denen sie das Recht übernehmen wollten. Das ist für uns inakzeptabel. Anfangs ist Herbert Reul von der SPD noch verspottet worden für die Kontrollen in den Shisha-Bars. Aber mit jedem Razzia rücken wir kriminellen Clans mehr auf die Pelle. Und inzwischen weiß jeder, wie wichtig der Kampf gegen Clans, Banden und andere Straftäter-Gruppen ist.
Innere Sicherheit, Arbeitsplätze, Schulen sind wichtig für Landespolitik. Bei Ihrer Rede kamen sie aber nach 90 Sekunden auf die Ukraine. Schafft man es ohnehin nicht, die Menschen davon abzulenken – hin zu Ihren Wahlkampfthemen?
Vor dem Leid, den der Angriffskrieg auf die Ukraine verursacht, darf man nicht die Augen schließen. Die Menschen haben Fragen, sie machen sich so viele Sorgen wie lange nicht mehr. Darauf muss Politik Antworten haben. Wir haben kürzlich im Schulterschluss mit Gewerkschaften und Wirtschaft ein Bündnis „Sichere Energie für sichere Arbeitsplätze“ begründet. Nordrhein-Westfalen ist der industrielle Schrittmacher Deutschlands: Hier sind besonders viele energieintensive Industrien angesiedelt – Stahl, Aluminium, Glas, Chemie. Hunderttausende Arbeitsplätze sind abhängig von der Versorgungssicherheit.
Versorgung sichern ist das eine, gleichzeitig überweist Deutschland im Durchschnitt täglich 130 Millionen Euro nach Russland für Energielieferungen.
Wir müssen aus der Abhängigkeit von russischer Energie so schnell wie möglich raus, und dafür sind drei Dinge notwendig: Erstens, dass wir neue Lieferbeziehungen aufbauen, um Gas und so schnell wie möglich Wasserstoff aus anderen Quellen zu bekommen. Wir in Nordrhein-Westfalen schauen dabei eher nach Westen. Ich unterstütze aber, was die Bundesregierung im Norden macht, …
… Sie meinen die Pläne für LNG-Terminals in Brunsbüttel.
Ja, in Nordrhein-Westfalen schauen wir aber vor allem nach Westen, nach Rotterdam, Antwerpen, Zeebrügge. Diese Häfen sind für uns näher. Daher haben wir eine Energiepartnerschaft mit der belgischen Region Flandern geschlossen, um zukünftig mehr Gas über die dortigen Häfen zu beziehen.
(Wüst guckt aus dem Busfenster, draußen ist die typisch münsterländische Mischung aus Ackerland und einem Industriegebiet zu sehen.)
Wir kommen gleich an einem Pionier des Biogasausbaus in Deutschland vorbei. Seit 40 Jahren wird dort Biogas produziert und inzwischen versorgt er meine Heimatstadt Rhede mit Biogas. In den ländlichen Regionen wird eine Mehrheit der Erneuerbaren Energien produziert. Wir sind in meiner Heimat im Kreis Borken ganz weit vorn. Davon brauchen wir viel, viel mehr. Nordrhein-Westfalen beim Ausbau der Erneuerbaren in den letzten Jahren in der Spitzengruppe der Länder – trotz schwieriger Standortbedingungen und dichter Besiedlung. Trotzdem wollen wir mehr und haben uns ambitionierte Ausbauziele gesetzt. Im ersten Quartal des Jahres sind wir bundesweit Spitzenreiter beim Ausbau der Windenergie.
Mit Anlagen, die noch von Ihrer Vorgängerregierung mit Hannelore Kraft genehmigt wurden?
Da Werden Sie vermutlich sogar Anlagen finden, die noch während der Zeit der Vor-Vorgängerregierung geplant wurden, mit Jürgen Rüttgers an der Spitze. Wir müssen im Sommer schneller werden. Deshalb unterstütze ich die Ankündigungen des Osterpakets zur Beschleunigung der Bundesregierung. Ich hoffe nur, sie werden auch ambitioniert umgesetzt.
Das wäre dann Punkt 2, um aus russischer Abhängigkeit herauszukommen?
Es gibt in Nordrhein-Westfalen große, geeignete Flächen für den Ausbau der Erneuerbaren, eine ganz prominente ist zum Beispiel der ehemalige britische Militärflughafen Elmpt am Niederrhein. Da sind einst die Senkrechtstarter aufgestiegen und gelandet, jetzt gestartet und landet dort die Feldlerche. Das wäre ein Ort, um einen Windpark zu bauen, und ich unterstütze Robert Habeck, der ja gesagt hat, er will eine neue Balance zwischen Ausbau der Erneuerbaren und dem Artenschutz.
Sie wollen in Ihrem Bundesland bei der 1000-Meter-Abstandsregel für Windräder bleiben. Würde der Mindestabstand zum nächsten Wohngebäude etwa nur 750 Meter betragen, könnte es noch mehr mögliche Flächen für Windkraft geben.
Die Regel ist jetzt schon flexibel. Wenn vor Ort gewünscht, können die 1000 Meter auf bis zu 720 Meter unterschritten werden. Nordrhein-Westfalen ist beim Ausbau der Windenergie in Deutschland führend. Wir waren im Jahr 2020 auf Platz eins und 2021 auf Platz drei, jetzt wieder auf Platz eins. Das widerlegt die These, dass unsere Regeln den Ausbau hemmen. Ich sehe es genau andersrum. Abstandsregeln schaffen Rechtssicherheit und Verlässlichkeit. Wir kommen nicht weiter, wenn der Großteil der Sache zur Errichtung einer Windkraftanlage wieder beklagt WIRD. Die Abstände schaffen Schutz und rechtliche Klärung für Anwohnerinnen und Anwohner, sie sind richtig.
Sie sagt eben, „ich unterstütze Robert Habeck…“ – solche Sätze hört man von Ihnen inzwischen öfters.
Nur, weil er ein Grüner ist, ist es ja nicht falsch, wenn er sagt, er will Planung beschleunigen. Ein richtiger Vorstoß bleibt ein richtiger Vorstoß – da spielt die Partei keine Rolle.
Können Sie sich so noch genug von der Konkurrenz absetzen?
Natürlich werden wir Habecks Vorschläge aus dem Osterpaket daran messen, ob sie uns auf unseren Potenzialflächen wirklich helfen. Aber ich finde es gut, dass er sich das vornimmt.
Und die Energiepolitik in 16 Jahren Unions-Regierung mit dem Fokus auf russischem Gas…?
Der vorgezogene Atomausstieg und der Ausstieg aus der Kohleverstromung hatten eine erhöhte Abhängigkeit von russischem Gas als Folge. So war die Reihenfolge. Und das Ergebnis heute ist bekannt.
Diese schwierige Situation haben viele vorhergesehen – die USA, die baltischen Staaten. Viele weitere Partner in der EU haben Deutschland gewarnt.
Stimmt. Zur Ehrlichkeit gehört auch: Auch in der deutschen Parteienlandschaft waren viele klarer als anderer. Ich breche mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich zugestehe, dass die Grünen in ihrer Haltung zu Russland meist klarer waren. Das ändert aber nichts an der Aufgabe heute, so schnell wie möglich raus aus der Abhängigkeit von russischen Energieimporten zu kommen.
Aber wo machen Sie dabei die Zugeständnisse? Bei Gas für die Industrie offenbar nicht, beim Mindestabstand auch nicht.
Wir setzen kurz- und mittelfristig auf einen beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien. Wir haben in der Landesregierung etwa beschlossen, dass wir schwer geschädigte Waldflächen, auf denen die Trockenheit und dann der Borkenkäfer zugeschlagen haben, für Windenergie nutzen wollen, das entspricht rund 9000 Hektar. Auf benachteiligten Agrarflächen wollen wir ermöglichen, Solarstrom zu erzeugen. Auch das gibt nochmal einen Schub.
Und der dritte Punkt für Versorgungssicherheit?
In Nordrhein-Westfalen sollen in diesem Jahr 1,6 Gigawatt Kraftwerksleistung abgeschaltet werden. In diesem und nächsten Jahr sind es in Summe sechs Kraftwerksblöcke. Wir sollten diese in der Reserve behalten, um im Falle eines Falles einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten zu können.
Sehr interessant, vor allem aus der Perspektive Klimaschutz.
Klimaschutz ist die größte Herausforderung unserer Generation. Ich bin sehr dafür, dass wir am Ziel Kohleausstieg 2030 wenn irgend möglich festhalten – das unterscheidet uns übrigens von der NRW-SPD, die den Ausstieg 2030 im Wahlkampf plötzlich in Frage gestellt hat. Ich halte nichts davon, gesellschaftliche Konflikte ständig zu befeuern. Völlig klar ist zugleich: Auf dem Weg zum avisierten Ausstieg sollten möglichst alle pragmatisch und flexibel sein. Zur Verantwortung eines Ministerpräsidenten gehört, sich in dieser schweren Krise auf alle denkbaren Szenarien zu bekämpfen.
Das Publikum im Münsterland war Ihnen erwartungsgemäß ausgewogen. Eine einzige kritische Frage kam, warum Grundschullehrkräfte noch immer nicht so viel verdienen wie Lehrpersonal an weiterführenden Schulen. Damit sind viele unzufrieden.
Heute haben wir 10.000 Lehrer mehr an unseren Schulen als unter Rot-Grün. Weil kleinere Klassen gut sind für den Lernerfolg, werden wir in der nächsten Wahlperiode noch einmal 10.000 Lehrerinnen und Lehrer einstellen. Wir haben bei Regierungsübernahme erstmals Unterrichtsausfall überhaupt erfasst, das war vorher gar nicht gemacht worden. Es fehlten darum damals Studienplätze – wir haben die jetzt gebaut, aber es dauert nun mal rund sieben Jahre, bis die Lehrer auch tatsächlich da sind. Und wir sind überzeugt: Bei gleicher Dauer der Ausbildung muss auch gleich verdient werden. Das werden wir für Neueinstellungen zukünftig umsetzen. Daher wollen wir als CDU A13 als Einstiegsgehalt für alle neuen Lehrkräfte. Auch für die bisherigen Lehrkräfte wollen wir den Aufstieg ermöglichen.
So knapp wie das Rennen in NRW wirkt derzeit, könnte es sein, dass Sie im Falle eines Wahlsiegs zu dritt regieren müssen. Wäre Jamaika ohnehin Ihr Favorit mit ihrem bisherigen Partner FDP, oder würden Sie sich die Risiken eines Trios lieber sparen und als Schwarz-Grün regieren? Auf Bundesebene klappt es mit Robert Habeck ja offenbar gut.
Wir haben in den letzten Jahren vertrauensvoll und freundschaftlich mit der FDP Nordrhein-Westfalen vorangebracht: 400.000 neue Arbeitsplätze wurden geschaffen, 10.000 Lehrerinnen und Lehrer eingestellt und unser Land objektiv sicherer gemacht. Das ist ein gutes Fundament, auch für eine zukünftige Zusammenarbeit. Ich bin natürlich bereit, mit allen demokratischen Parteien zu reden, die unser Land voranbringen wollen.
Vor sieben Monaten sind Sie ihrem Vorgänger, dem gescheiterten Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet, ins Amt gefolgt. Bonus oder Bürde?
Es ist, wie es ist. Inhaltlich sind unsere Schwerpunkte sehr ähnlich, nämlich Wirtschaft, Arbeitsplätze und Klima, Familie und Bildung sowie Innere Sicherheit.
Mit Hendrik Wüst sprach Frauke Niemeyer
Quelle: www.n-tv.de