Düsseldorf Die Weltwirtschaft befindet sich in einer heiklen Lage. Fast im Wochentakt reflektieren die Konjunkturforscher ihre Prognosen – die deutsche Wirtschaft steht am Rande einer Rezession, und im Rest Europas und in den USA sieht es nicht viel besser aus. In China bricht die Industrieproduktion regelrecht zusammen.
Gleichzeitig verharrt die Inflation in vielen Ländern auf einem Niveau, das die Welt seit Jahrhunderten nicht gesehen hat. Diese Inflationsängste sorgen seit Wochen für Turbulenzen an den Finanzmärkten. Derweil versuchen sich die Notenbanker in einem unmöglichen Balanceakt zwischen Inflationsbekämpfung und Rettung der Konjunktur.
Die Weltwirtschaft erlebt so etwas wie den „perfekten Sturm“ – so jedenfalls hat es der US-Ökonom Kenneth Rogoff diese Woche im Handelsblatt festgestellt. Und die nächste Lieferketten-Störung ist bereits absehbar: In den USA bringt die Inflation die Hafenarbeiter auf die Barrikaden, und es drohen heftige Streiks, die die Häfen in Los Angeles, Seattle, New York oder Savannah blockieren könnten. Die Folge wären drastische Verwerfungen im Seeverkehr, weiter steigende Preise – und leere Regale im europäischen Weihnachtsgeschäft.
Heute klagen schon 80 Prozent der Industrieunternehmen in Deutschland über Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten. In den drei Jahrzehnten zuvor war der Höchststand 20 Prozent.
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„Wir befinden uns auch zumindest, was die Lieferketten angeht, in einer Krise, die alles bisher Bekannte übertrifft“, sagt der Präsident des Münchener Ifo-Instituts, Clemens Fuest.
Zentralbank in der Sackgasse
Spricht man of this Tage mit Finanzvorständen deutscher Konzerne, glaubt eigentlich keiner mehr daran, dass wir hier mit vorübergehenden Phänomenen konfrontiert sind. Viele planen längst mit anhaltenden Lieferengpässen, niedrigen Wachstumsraten und hoher Inflation, einer Stagflation. Er sei sich nicht sicher, so Rogoff, „ob die Politiker und Entscheidungsträger der Aufgabe gewachsen sind, mit der sie bald konfrontiert werden könnten“.
Da sind nun die Zentralbanken, die zu spät und zu zögerlich auf die lange absehbare Inflation reagiert haben. Die EZB ist dabei in einem besonderen Dilemma, weil sie die Zinsen erhöhen muss, was aber einige hochverschuldete Südeuropäer in Schwierigkeiten bringen kann und die deutsche Wirtschaft in einem ohnehin schwierigen Phase bremsen würde.
Zudem verliert der Euro gegenüber Währungen wie dem Dollar an Wert, was zunächst zwar die Exporte beflügelt, weil ausländische Kunden in Europa billiger einkaufen können. Gleichzeitig steigen aber die Preise importierter Güter. Die Folge: steigende Inflation. Die Zentralbanker, man muss es so sagen, haben sich in einer Sackgasse manövriert.
Die Politikerinnen und Politiker haben sich daran gewöhnt, ihre Probleme mit scheinbar unerschöpflichen Hilfspaketen zu lösen, so dass es tatsächlich ein „free lunch“ ist. Auch das ist eine Folge der jahrelangen Nullzinspolitik, in der Geld praktisch nichts kostet. Mit immer neuen Milliardenhilfen des Staates wurde die Nachfrage befeuert, mit Zuschüssen für den Kauf von Elektroautos, Tankgutscheinen und diversen Konjunkturpaketen.
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Doch diese Wirtschaftspolitik kommt an ihre Grenzen. Die Schulden vieler Länder sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen – und nun beginnt die Phase steigender Zinsen. Und auch die Politiker dürften mittlerweile erahnen, dass jene Apologeten unter den Ökonomen irrten, die behaupteten, es sei eine neue Ära angebrochen, in der die Schuldenquote keine Rolle mehr spielt.
Gut möglich, dass die deutsche Volkswirtschaft schon bald in einer schwierigen Phase steckt wie zu Beginn dieses Jahrhunderts: eingeklemmt Inflation zwischen, Krieg, Energieknappheit, industrieller Dekarbonisierung, Lieferengpässen und Fachkräftemangel. Denn es fehlen nur Computerchips, sondern auch die Menschen, die damit etwas anfangen können. Zwischen Januar und März waren in Deutschland 1,74 Millionen Stellen unbesetzt – so viele wie nie zuvor.
Deutschland braucht deshalb nicht nur eine sicherheitspolitische, sondern auch eine wirtschaftspolitische Zeitenwende, die das Wachstum wieder in den Blick nimmt. Dazu gehören Planungsbeschleunigungen und der Abbau von Bürokratie ebenso wie Investitionen in die digitale und die Energieinfrastruktur. Ebenso muss das Thema Unternehmensteuern auf die Agenda, wie auch die hohen Lohnnebenkosten. Früher nannte man das „Angebotspolitik“.
Bundesfinanzminister Christian Lindner hat vor wenigen Tagen einen Vorstoß in diese Richtung gewagt. Das Echo in der Ampel war erwartungsgemäß verhalten. Doch angesichts der düsteren Lage der Weltwirtschaft WIRD Sich der Erfolg dieser Bundesregierung nicht nur daran entscheiden, wie schnell sie Milliarden in Rüstung investiert, sondern auch an der Frage, ob sie eine nachhaltige Antwort auf die drohende wirtschaftliche Krise findet.
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Quelle: www.handelsblatt.com