Wenn Aktienkurse sinken, heißt es oft, die Anleger hätten verschnupft auf dies oder das reagiert. Was am Freitag mit dem Kurs des Schweizer Luxusgüterkonzerns Richemont passierte, zeugte eher von einem schweren Hustenanfall: Die Aktie verlor 12 Prozent an Wert und notierte nur noch bei 93 Franken. Den Anlass dazu boten das vorgelegte Zahlenwerk für das Jahr 2021/22, das Ende März zu Ende gegangen ist, und der sehr verhaltene Ausblick von Johann Rupert. Der südafrikanische Milliardär ist der Verwaltungsratspräsident und kontrollierende Hauptaktionär des Genfer Unternehmens, zu dem Schmuckmarken wie Cartier und Van Cleef & Arpels sowie edle Uhrenmarken wie Piaget, Jaeger-LeCoultre, IWC und A. Lange & Söhne gehören.
Richemont hat den Nettogewinn gegenüber dem von der Corona-Pandemie stark beeinträchtigten Vorjahr zwar um 61 Prozent auf 2,1 Milliarden Euro erhöht. Damit blieb der Konzern allerdings deutlich hinter den Erwartungen der Analysten zurück. Das Herunterfahren des Geschäfts in Russland infolge des Krieges, den Richemont in seiner veröffentlichten Mitteilung durchgehend nur „Konflikt“ nennt, schlug mit einer erheblichen Belastung von 168 Millionen Euro zu Buche. Aus Russland kamen zuletzt weniger als 2 Prozent des Umsatzes der Gruppe. Allerdings kaufen reiche Russen gern teure Sachen auf ihren Reisen im Ausland ein. Doch diese Reisetätigkeit dürfte nun in vielen Fällen stark eingeschränkt sein.
Drastische Reaktion
Die größte Ergebnisbremse weist indes nicht aus geschlossenen Läden in Russland, sondern aus Bewertungsverlusten im Zusammenhang mit dem Engagement beim Onlinehändler Farfetch. Richemont wird gemeinsam mit Farfetch einen Onlinemarktplatz für Luxusgüter aufbauen, der auch Platz für Drittanbieter bieten soll. Diese müssten sich aber an dieser gemeinsamen Plattform beteiligen. Offenbar hat Richemont Schwierigkeiten, Partner zu finden. Die Verhandlungen seien „kompliziert“, heißt es in Genf. Das Nichtzustandekommen einer Vereinbarung mit Farfetch hängt wie ein Damoklesschwert über der Aktie, sagt Jean-Philippe Bertschy, Analyst bei der Schweizer Bank Vontobel.
Trotzdem hält Bertschy die Reaktion an der Börse für überzogen: „Richemont wurde von den Anlegern zu sehr abgestraft.“ Der Analyst weist darauf hin, dass der Konzern sowohl im Schmuckgeschäft als auch im Uhrengeschäft stärker als die Konkurrenz gewachsen sei. Tatsächlich kletterte der Umsatz um stattliche 46 Prozent auf den Rekordwert von 19,2 Milliarden Euro, wobei es in allen Weltregionen zweistellige Zuwachsraten gab, wie Richemont betont.
Allerdings geht es an der Börse vor allem um die Zukunft. Und die verdüstert sich gerade im chinesischen Markt, der für rund 30 Prozent des Umsatzes von Richemont steht. Die von der chinesischen Staatsregierung verhängten Lockdowns in großen Städten wie Schanghai, wo die meisten Geschäfte von Richemont liegen, bremsen den Verkauf. „In China droht ein sehr starker Umsatzrückgang für das Gesamtjahr“, warnt Bertschy. Nach Aussage von Richemont-Vorstandschef Jérôme Lambert sind derzeit rund 100 der 250 eigenen Markengeschäfte in China geschlossen.
Auch Johann Rupert schlug Molltöne an: „Uns stehen unbeständige Zeiten bevor.“ Sein Bauchgefühl sage ihm, dass Chinas Wirtschaft länger leiden werde, als die meisten dächten, sagte der Richemont-Gründer in einer Telefonkonferenz mit Journalisten. Die konjunkturelle Erholung in der Volksrepublik werde langsamer laufen als andernorts. Rupert rechnet mit einer vorübergehenden wirtschaftlichen Schrumpfung in China. In anderen Ländern könnte es infolge der Inflation zu politischen Demonstrationen und zu einer gesellschaftlichen Polarisierung kommen, die den „Wohlfühlfaktor“ dämpfen würde, der dem Luxuskonsum zugrunde liegt.
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Der Analyst Bertschy sieht die weitere Entwicklung in China indes nicht so negativ wie Rupert: „Starke westliche Marken und ikonische Produkte sind dort nach wie vor sehr begehrt.“ Außerdem liefen die Geschäfte Chinas noch sehr gut, vor allem in Europa und den Vereinigten Staaten . Den starken Fokus auf den Ausbau des Onlinegeschäfts hält Bertschy für übertrieben. „Teuren Schmuck und Uhren wollen die Kunden in den Läden kaufen. Das gilt auch für die jungen Leute, es geht um Kundenerlebnis.“
Zudem bemängelt der Analyst, dass sich der Konzern mit seinen vielen verschiedenen Marken zu verzetteln drohe. „Richemont sollte sich auf die starken Marken Cartier und Van Cleef fokussieren und auch auf die starken Uhrenmarken.“ Insgesamt sei das Unternehmen in einer starken Position, um von der steigenden Nachfrage nach Luxusartikeln zu profitieren. Bertschys Optimismus spiegelt sich seinem Kursziel für die Aktien von 160 Franken wider.
Luxusmarkt wächst
Nach Schätzung der Unternehmensberatung Bain wird der Markt für Luxusgüter bis 2025 jährlich um durchschnittlich 7 Prozent wachsen auf dann insgesamt 400 Milliarden Euro. Angetrieben werde dies durch die massive Vermögensübertragung auf jüngere Generationen, heißt in einer Studie von Vontobel. Der Kauf von Luxusgütern folgt eher einem emotionalen als einem rationalen Impuls. Starke Marken seien am besten gerüstet, um diese unsicheren Zeiten zu meistern. Dabei sei die Preissetzungsmacht einer begehrten Marke ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Tatsächlich hat beispielsweise Cartier schon vor ein paar Wochen in Aussicht gestellt, die Preise um 3 bis 5 Prozent anzuheben, um die gestiegenen Kosten beim Einkauf von Rohmaterialien wie Diamanten, Platin und Gold aufzufangen. Seit Putins Überfall auf die Ukraine kauft Richemont keine Diamanten mehr in Russland ein.
Quelle: www.faz.net