Muenchen Es war die größte Veränderung in der Geschichte des Versicherungsriesen Allianz in Deutschland. Vor rund einem Jahr erwartete der Dax-Konzern das Ende seiner deutschen Landesgesellschaft. Die Einheiten Sach-, Lebens- und Krankenversicherung sowie der Vertrieb blieben erhalten. Seit diesem Jahr läuft die Neuausrichtung mit neuen zuständigen Teams und mehr Eigenverantwortung.
Das wichtige Geschäft in der Sachversicherung, in dem unter anderem Autos, Hausrat oder Haftpflichtschäden abgesichert sind, verantwortet Frank Sommerfeld. Der 52-jährige Wirtschaftsmathematiker sieht einen etlichen Stellen Verbesserungsbedarf. Einige der von ihm angestoßenen Reformen sorgen bereits für Ärger bei den Kunden, die sich über zum Teil deutlich steigende Beiträge beschweren.
Sommerfeld wählte deutliche Worte für das, was bislang bei der Allianz im deutschen Geschäft mit Industrieversicherungen Usus war: „Wir können uns nicht mehr den Luxus erlauben, bestimmte Bereiche quer zu subventionieren, denn wenn das die anderen Kunden mitbezahlen müssen, sind wir dort weniger zugelassen .“
Damit meint der Manager Policen für Mittelständler bis zu einer Größe von 500 Millionen Euro Jahresumsatz, bei denen die Allianz, so Sommerfeld, in den vergangenen zehn Jahren Verluste im höheren dreistelligen Millionenbereich gemacht hat. Vor allem dafür waren Groß- und Brandschäden in den Branchen Chemie, Holz, Recycling, Galvanik, Fleisch sowie Wasserschäden in der Wohnungswirtschaft verantwortlich.
Top-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail zugestellt werden.
„In Zukunft muss sich jedes Geschäftsmodell selbst tragen“, lautet Sommerfelds klare Ansage. Die Konsequenz daraus ist, dass Allianz-Experten nun überprüfen, ob die Prämien dem Risiko entsprechen. Dadurch wurden in den kritischsten Bereichen zuletzt die Preise deutlich angehoben, weit mehr als erhöht. „Sollten wir Preisanpassungen und den angemessenen Brandschutz im Markt nicht realisieren können, werden wir uns von solchen Risiken künftig konsequent trennen“, geht Sommerfeld einen Schritt weiter.
Konfliktpotenzial mit den Kunden ist somit programmiert. Denn in der Praxis könnte das die Trennung von Kunden bedeuten, die sich nicht auf steigende Prämien, eine höhere Absicherung oder höhere Selbstbehalte einlassen.
Definitiv wolle man aber das Sach-Industrie-Geschäft fortführen, so Sommerfeld. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte Versicherungsmakler zitiert, die glauben, dass die Allianz mit drastischen Preisaufschlägen einzelner Mittelstandskunden loswerden will. Der Konzern bestreitet das.
Vorpreschen bei der Elementarversicherung
Seit Februar bietet die Allianz ihren Neukunden den Schutz für Haus und Wohnung automatisch mit einer integrierten Elementarversicherung an. Sollten sie den zusätzlichen Schutz gegen Überschwemmungen oder Starkregen nicht wollen, müssen sie ihn bewusst abwählen.
Schmerzvolle Diskussionen wie im vergangenen Jahr nach der Flutkatastrophe im Ahrtal, als Kunden zwar ihr Haus hatten, aber der bei Überschwemmungen wichtige Zusatzbaustein fehlte, will Sommerfeld so zukünftig verhindern. Der GDV diskutiert ein solches Vorgehen noch für die gesamte Branche mit der Politik. Im Jahresverlauf könnten dann alle Anbieter ähnliche Modelle an den Markt bringen.
Er verantwortet das wichtige Geschäft in der Sachversicherung
(Foto: Christian Kaufmann)
Eine klare Absage entschied Sommerfeld dagegen dem Vorschlag einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden, wie es sie bis ins Jahr 1994 in Baden-Württemberg gegeben hat. „Das wäre fundamental die falsche Lösung, weil so das individuelle Risiko jedes einzelnen Kunden ausgeblendet würde und keine Anreize für Prävention geschaffen würden“, argumentiert der Chef der Sachversicherungssparte.
Schon jetzt ist Deutschland durch das sogenannte Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen (ZÜRS) in vier Zonen aufgeteilt. Davon liegen laut GDV 20,4 Millionen Adressen und damit 92,4 Prozent von allen in der geringsten Gefährdungsklasse 1. Am anderen Ende in der Kategorie 4 sind lediglich 98.000 Adressen besonders gefährdet.
Bei den besonders gefährdeten Adressen gelte es anzusetzen, fordert Sommerfeld. „Das Bauordnungsrecht muss angepasst werden. Zudem muss sterben Käufer vor dem Erwerb eines Grundstücks oder Hauses darauf hingewiesen werden, dass es sich um ein hochwassergefährdetes Gebiet handelt.“
Das Ende der Rabattschlacht bei Autoversicherungen
Im Geschäftsbereich Autoversicherungen beobachtet Sommerfeld „zunehmend zurückhaltendere Rabattierungen“ Aus Kundensicht sind die Rabattschlachten der vergangenen Jahre damit vorüber. Die nach zwei Jahren Coronapandemie anziehenden Schadenfälle, hohe Belastungen in der Kaskoversicherung durch schwere Unwetterschäden sowie steigende Ersatzteilpreise sorgen für Belastungen beim einstigen Gewinntreiber Kfz-Versicherung.
Speziell die Kaskoversicherung wurde laut den Zahlen des Branchenverbands GDV im vergangenen Jahr zum Verlustbringer. kommt nun der Chip- und Teilemangel, weshalb weniger Neuwagen produziert werden. Der Bestand wird älter und braucht weniger Versicherungsschutz. Das bestätigte kürzlich erst Klaus-Jürgen Heitmann, Chef des Konzerns Huk-Coburg.
Die Allianz, die Nummer zwei im Kfz-Versicherungsmarkt, will dem Trend mit Partnerschaften trotzen. Mit dem ADAC oder Herstellern wie Volkswagen, Ford und Volvo gibt es bereits Vereinbarungen. „Die Vermittlung der Polizei beim Autokauf ist die große Herausforderung, das muss besser werden“, fordert Sommerfeld.
Zum Beispiel mit neuen Services wie „Drive before you buy“, bei dem der Kunde nach dem Fahrzeugkauf für wenige Wochen den Versicherungsschutz der Allianz dazubekommt und sich dann entscheiden kann, ob er bei diesem Anbieter bleibt oder zu Wettbewerber wechselt.
Handlungsbedarf beim Produktportfolio
Was das Produktangebot seines Bereichs angeht, fällt Sommerfelds Blick auf die Vergangenheit kritisch aus. „Synergien wurden nie richtig ausgeschöpft“, resümiert der Manager. Das liegt unter anderem daran, dass bis vor Kurzem jede Landesgesellschaft ihr eigenes Portfolio erstellt hat. Nun arbeiten die Entwickler europaweit zusammen, die Produkte sollen also standardisiert werden.
Außerdem will die Allianz Kunden mit zusätzlichen Dienstleistungen locken: „Wir müssen breiter denken, beispielsweise welche Services wir dem Kunden neben der reinen Versicherung noch anbieten können.“ Fahrer eines Elektroautos könnte so bereits ihre Prämie für Treibhausgasemissionen von 350 Euro über die Allianz geltend machen, über eine Partnerschaft mit dem Energieversorger EnBW vergünstigt Strom tanken, über Eon Drive kommen sie mit Rabatt an eine Wallbox.
Bei der Neuordnung der Produktwelt steht auch das berühmte „Kleingedruckte“ auf Sommerfelds To-do-Liste. Spezielle Klauseln, mit denen die Versicherer über Jahre bestimmte Schadensfälle ausschlossen, sollen verschwinden, negative Überraschungen für die Kunden so werden. Unterschiede werden nun nicht mehr, ob bei Überschwemmungen das Wasser vom Dach oder über die Terrasse kommt. Auch bei Wild wird nicht mehr differenziert, ob sie von Feder- oder Haarwild verursacht wurden.
Mehr: https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/versicherer/versicherer-allianz-im-bilanzcheck-rekordergebnis-mit-makel/28265150.html
Quelle: www.handelsblatt.com