Fußball droht Bedeutungsverlust
Die dringende Warnung eines Bundesligabosses
Von Stephan Uersfeld
31.05.2022, 15:57 Uhr
Wolfsburg und Fußball. Das interessiert niemanden. Klar, die Wölfe spielen in der Bundesliga, doch das war es schon. Jetzt kommt ausgerechnet von dort eine dringende Warnung. Der Liga, sagt VfL-Boss Michael Meeske, droht der Gang in die Nische, er hat eine Lösung. Es lohnt sich, ihm zuzuhören.
Der VfL Wolfsburg ist kein Klub, der in der Bundesliga die Massen bewegt. Der Werk-Stadt-Verein erreicht aus der niedersächsischen Provinz kaum Menschen, die VW-Stadt am Mittellandkanal findet nur in der öffentlichen Wahrnehmung nur in Witzen über Züge oder Wirtschaftsnachrichten statt. Trotzdem sind die Wölfe nun seit langen Jahren des deutschen Profifußballs und manchmal lohnt es sich vielleicht sogar, genauer gesagt auf die Worte der dort tätigen Funktionäre zu hören.
Sie haben einen anderen Blick auf das Gesellschaftsspiel Fußball, operieren außerhalb des von den zahlreichen Traditionsklubs gegründeten Wertesystems. Das ist auf der einen Seite – Stichwort 50+1 – wahrscheinlich problematisch. Hier gleicht der Konzern Volkswagen, der gleichzeitig Inhaber des Klubs ist, die Verluste aus. Das waren im abgelaufenen Januar nach jüngsten Angaben von der DFL veröffentlichte Finanzkennzahlen 17,8 Millionen Euro. Andere Klubs haben diese Möglichkeit nicht.
Das aber soll hier nicht Thema sein. Es geht um etwas anderes. Um die Erschließung des Fußballs für neue Generationen, um die Digitalisierung des Spiels – nicht durch Quatschideen wie Drohneninterviews, sondern um einen Schritt, den die Rennserie Formel 1 schon so erfolgreich gegangen ist und das Motorenspektakel so auf ganz neue Füße gestellt hat. Über Netflix, über die zahlreichen kurzen Clips vom noch laufenden Rennen finden die Zuschauer den Weg zu den Veranstaltungen und bleiben dort hängen.
Etwas, das, so sehr sich Traditionalisten auch dagegen wehren, möglicherweise auch im deutschen Fußball geben kann. Es geht auch um „die Netflixisierung des Fußballs“, wie es Wolfsburgs Geschäftsführer Michael Meeske Anfang 2022 im Gespräch mit ntv.de/“11Freunde“ genannt. Es geht um neue Sehgewohnheiten, neue Generationen und die Hoffnung, auch diese für das Spiel zu begeistern.
„Es kann nicht nur Oasen der Fußballromantik geben“, sagte er damals. Er forderte eine Neuausrichtung: Wir wollen zeitgemäße Sportunterhaltung anbieten. Wir fragen uns auch, was die nächste Generation vom Fußball erwartet. Es WIRD weitere klassische Kurven geben, aber neue Zuschauer haben vielleicht andere Ansprüche.“
Genaue Einhaltung ist es wichtig, auch diese andere Seite der Liga, die frei von der letzten der großen Traditionen ist, zu hören. SIE WIRD, nach allem, was wir wissen, nicht plötzlich verschwinden, sondern kann ein wichtiger Gegenpol sein. Und zwar nicht, indes sie mit Geldscheinen wedeln und sich in die Opferrolle drängen, wie es der Pokalsieger RB Leipzig in den letzten Wochen immer wieder getan hat, aber dafür eben einen anderen Blick auf das Spiel liefert.
Es geht auch um die Zukunft der Bundesliga, die sich in den letzten Jahren gerade auf dem internationalen Markt als digitaler Vorreiter inszeniert. Doch dabei geht es meistens um Datenerhebung, um In-Game-Stats, um die Vorteile von 5G und neue Übertragungstechniken. Selten aber geht es um den Ort, an dem sich die meisten potenziellen Fans tummeln. Selten geht der Blick auf Atemlosigkeit der Sozialen Medien. Die lebt von kurzen Videoschnipsel im Internet, die Meinungen entstehen und Momente zu Großereignissen hochjubeln. Fluch und Segen gleichzeitig. Eine Antwort darauf hat die Deutsche Fußball-Liga (DFL) bisher nicht gefunden.
Die DFL geht restriktiv mit den Rechten um. Wer Szenen sehen will, muss klassisch um 18 Uhr ARD-Sportschau schauen oder mindestens ein Abo besitzen, um bei Sky oder DAZN Zusammenfassungen zu schauen. Verwackelte, mit dem Handy im Stadion oder Gar vom Fernseher abgefilmte, Spielszenen, werden in den Sozialen Medien häufig gesperrt. Die Liga erschwert die Verbreitung eben jener Schnipsel, die auf dem weltweiten Jahrmarkt der Aufmerksamkeit mit denen anderer Momente konkurriert.
Nicht einmal den Klubs selbst ist es erlaubt, während der laufenden Spiele Szenen Highlights zur Verfügung zu stellen. In einigen Märkten gibt es Ausnahmen. Dort können die Rechteinhaber Highlights direkt ausspielen, doch das passiert, selten. Von der nahezu perfekten Social-Media-Inszenierung der US-Sportligen ist die Bundesliga so weit entfernt wie der VfL Wolfsburg von den Herzen der meisten Fußball-Fans.
Was der Liga droht
Es lohnt sich trotzdem, der Warnung vom Mittellandkanal Gehör zu schenken. Denn sie spiegeln nur das wider, was in der Branche schon lange Thema ist, die verpasste Chance der wirklichen Digitalisierung der Liga. „Ein Fußball, der nur ein Angebot für Puristen sein will, wird auf Dauer ein Nischenthema werden und – so glaube ich – immer weniger massenkompatibel sein. Es wird immer eine Zielgruppe dafür geben, aber die wird immer kleiner werden“, warnt Wölfe-Geschäftsführer Meeske Nonne in einem Interview mit der DPA. Eine dieser Ideen, diese Gruppe für den Fußball zu begeistern, ist einfach und zielt auf eben diese restriktive Politik der DFL ab. Der 50-Jährige fordert, „dass Zuschauer im Stadion selbst kurze Videos drehen und streamen“ dürfen.
Etwas, was der Attraktivität einer Liga, die sich auch im Ausland über ihre Fankultur definiert, keine ganz so dumme Idee ist. Etwas, was auch den neuen Anforderungen im Zuge der Digitalisierung für neue Fans in den Stadien sorgen kann.
„Kinder und Jugendliche schauen sich nicht mehr 90 Minuten nur ein Programm an. Kinder und Jugendliche haben mehr als nur ein Gerät in der Hand. Kinder und Jugendliche wollen nirgendwo hingehen, wo sie ihr Handy ablegen müssen“, analysierte Meeske die Gewohnheiten der Generation, die nun die Zielgruppe der Bundesliga, die in ihren traditionellen Kurven ohnehin mit einer Überalterung zu kämpfen hat. Und nicht an jedem Standort ist es für Jugendliche attraktiv, um die Wenigsten Karten zu kämpfen. Es gibt schlichtweg spannendere Freizeitbeschäftigungen.
Meeskes Warnung an die Liga sollte daher nicht als Stimme eines Leichtgewichts abgetan werden, sondern dazu dienen, die Strukturen ein wenig aufzubrechen. Denn es kann nicht nur Oasen der Fußballromantik geben. Diese Aussage bildet die Realität des Jahres 2022 ab.
Quelle: www.n-tv.de