Seit Jahren versteckt sich die deutsche Autoindustrie hinter einem Narrativ, wenn sie auf ihre hohe Abhängigkeit von einem Land mit einem unberechenbaren Regime angesprochen wird. Der Volkswagen-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess bemühte sich einmal um die Frage, warum er an seinem Werk im Westen Chinas festhält, obwohl es in der Region Menschenrechtsverletzungen am Volk der Uiguren gibt, einen historischen. „Wir waren auch in Südafrika zur Zeit der Apartheid. Hätten wir das nicht tun sollen?“, sagte Diess und erzählte, dass „sogar Nelson Mandela später gesagt“ habe, es sei „gut gewesen, dass wir trotz der Apartheid in Südafrika geblieben sind“. Vorige Woche, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, fasste Diess die Position in einem Satz zusammen: Die deutsche Industrie kann sich „nicht darauf beschränken, nur mit Demokratien zu arbeiten“.
Diese oder ähnliche Formulierungen sind auch von anderen deutschen Automanagern zu hören, die eine Normalisierung der Verhältnisse in der aktuell zerrütteten Weltwirtschaft herbeisehnen. Doch seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und der fragwürdigen Rolle Chinas ist nichts mehr normal. Nach der jüngsten Dokumentation der Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang kritisieren westliche Politiker China immer lauter. Die Spannungen um Taiwan werden größer. Die rigorosen Lockdowns und ihre Folgen für Konjunktur und Lieferketten zeigen, wozu das Pekinger Regime fähig ist. Damit wächst der Druck auf die Autoindustrie, die in der Volksrepublik seit Jahren glänzende Geschäfte macht, ihre Arbeit vor Ort auf eine komplett neue Basis zu stellen.
Die deutsche Politik, vor allem die Grünen, ist nicht mehr bereit, gegenüber China das bisherige Muster fortzusetzen: Öffentlich wurde Peking oft kritisiert, aber wenn es darum geht, die Expansion deutscher Konzerne vor Ort zu unterstützen, spielte das keine Rolle. Jetzt verweigert Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erstmals eine Verlängerung von Investitionsgarantien, mit denen VW einen Teil seiner Geschäfte in China absichert. Der „Bezug zu einer Betriebsstätte in der Provinz Xinjiang“ habe sich nicht ausschließen lassen, heißt es zur Begründung aus dem Ministerium in Berlin. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert das Engagement von VW in Urumtschi, der Hauptstadt von Xinjiang, wo die Wolfsburger seit knapp zehn Jahren mit ihrem lokalen Partner SAIC ein Werk betreiben.
Bild: Unternehmen; EY
„Niemand kann sich aus China verabschieden, aber allen ist klar, dass die Branche dort nicht weitermachen kann wie bisher“, sagt Elmar Kades, Automobilfachmann und Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Alix Partners. Die Konzerne müssten die Verflechtung ihrer Lieferketten mit der Volksrepublik auflösen und ihr Chinageschäft stärker autark machen. Nur so ließen sich Abhängigkeiten reduzieren, ohne im Fall einer weiteren Eskalation komplett abziehen zu müssen.
In vergangen den vergangenen Krieg die Strategie genau andersherum: Die Verflechtung nahm zu. Gelockt vom Riesenmarkt mit seiner aufstrebenden Mittelschicht baut die deutschen Autohersteller große Fertigungs- und Vertriebsnetze in China auf, stets mit lokalen Herstellern wie SAIC, FAW, BAIC oder Brilliance an der Seite, mit denen sie auf Geheiß Pekings in Gemeinschaftsunternehmen verbunden waren. Heute setzt der VW-Konzern etwa 40 Prozent seiner Fahrzeuge in der Volksrepublik ab, Mercedes und BMW kommen auf etwa ein Drittel. Teile aus China werden in Europa verbaut und umgekehrt. Auch wichtige Rohstoffe kommen aus Fernost, ein Modus, der sich nicht von heute auf morgen beenden lässt. „Es wird 5 bis 10 Jahre dauern, bis die Strukturen entflochten sind“, sagt Kades.
Quelle: www.faz.net