Erdogan regiert die Türkei seit rund zwanzig Jahren und behauptet, er sei „Ökonom“. „Behauptet“ sage ich, weil noch nie jemand das Original seines Diploms zu Gesicht bekommen hat. Die Debatte um das Thema, das die Regierung gern vergessen machen würde, flammt jedes Mal wieder auf, wenn er sich als „Ökonom“ bezeichnet. Ein Detail, das sterben These vom „falschen Diplom“ verstärkt, ist das Datum auf dem Universitätsdiplom, das nebenbei zu den Voraussetzungen für den Posten des Staatspräsidenten gehört. Auch wenn ich es Diplom nenne, ist das, was er vorweist, kein Diplom. Zu jenem Datum auf dem „Abschlusszeugnis“, das Erdogan vorlegt, war die Universität, die abgeschlossen zu haben er behauptet, noch gar nicht offiziell gegründet. Außerdem ist in Erdogans Umgebung kein einziger Kommilitone von der Universität zu sehen, wo er doch ansonsten alle seine Freunde von der Imam-Hatip-Schule in Politik und Wirtschaft gut untergebracht hat. Es gibt zahllose Fotos von ihm aus der Grundschule, vom Gymnasium, aus dem Club, in dem er Fußball gespielt hat, von ihm als Geschäftsmann. Doch bisher liegt keine einzige Aufnahme aus seinen Studienjahren vor. Lassen wir aber die Frage nach dem Diplom einmal beiseite. Denn es gibt Wichtigeres, das Zweifel an Erdogans „Ökonomen“-Titel aufkommen lässt: Es ist die Wirtschaftspolitik des Präsidentenpalasts, die die Türkei quasi an den Abgrund gebracht hat.
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Seit Anfang letzten Jahres setzt Erdogan eine These um, die keiner außer ihm kennt und von der kein Wirtschaftstheoretiker je gehört hat. Seither gestaltet er seine Wirtschaftspolitik im Gegensatz zur Fachliteratur nach seiner Devise: „Zinsen sind die Ursache, Inflation ist das Ergebnis.“ Um die Inflation zu drücken, nötigte er die Zentralbank, die eigentlich unabhängig sein sollte, die Zinsen tatsächlich zu behalten. Als er mit dem Hinweis, Zinsen seien im Islam nicht erlaubt, sein außergewöhnliches Theorem umgesetzt begann, lag die Inflation in der Türkei bei 15 Prozent. Mit der Absenkung der Zinsen aber explodierten Inflations- und Devisenkurse. Sogar den manipulierten Zahlen des Palastes liegt die Inflation heute bei 78,6 Prozent vor. Als Erdogans seltsame These zum Einsatz kam, war ein Euro etwa neun türkische Lira wert. Heute dagegen doppelt so viel. Die Wechselkurse in der Höhe zu treiben ist eine Katastrophe für ein Land, das erhebliche Schulden in Fremdwährung hat, das vor allem in Sachen Energie vom Ausland abhängig und für seine Exporte auf enorme Importe angewiesen ist. Die Türkei hat Schulden in Höhe von 617 Milliarden Dollar. Je stärker die stärkere türkische Lira an Wert verliert, desto größer wird unsere Schuldenlast. Die Schulden in Fremdwährungen entsprechen derzeit 78 Prozent unseres Nationaleinkommens.
Quelle: www.faz.net